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Der Weg Zum Wohltemperierten Pianisten: Die Taubman Lehre



Zu gut um wahr zu sein? Eine Einführung in die Taubman Lehre

Es scheint, als ob es keine klare Definition in Sachen Klaviertechnik gibt, und keine klare Richtlinie, was diese bewirken sollte, und schon gar keine Erklärung dafür, warum das Thema ‘Klaviertechnik’ die Welt der Pianisten und Klavierlehrer in feindliche Lager unterteilt. In diesem Minenfeld verschiedenster Theorien gibt es keine zwei Ansätze, die einander gleichen, und die Kluften, die sich zwischen ihnen auftun, scheinen unüberbrückbar.

Vieles von dem, was als Allgemeinwissen gehandelt wird, besteht bei näherer Betrachtung aus nichts mehr als überholtem und unüberprüftem Material, das von einer Lehrergeneration an die nächste Generation leicht zu beeindruckender Klavierschüler weitergereicht wurde.

Für die meisten unter uns Pianisten gab es in der Kindheit eine übermächtige Autorität, die unsere naïve Neugier und unschuldige Liebe zum Klavier lenkte. Wir tragen die Erfahrung dieser wichtigen Beziehung – ob positiv oder negativ – für den Rest unseres Lebens mit uns herum.

Zweifelsohne ist die Rolle des Klavierlehrers eine sehr wichtige, und es gibt endlos viele Möglichkeiten, die einem guten oder nicht ganz so guten Pädagogen zur Verfügung stehen, einen Klavierschüler entweder zu befähigen oder ihm zu schaden. Natürlich gibt es viele Lehrer, die ihren Schülern erlauben, ihrer inneren Stimme zu folgen, wenn sie sich mit den grossen Meistern beschäftigen, und die ihnen auf diese Art und Weise beibringen, was Musik wirklich bedeutet. Aber wer hat nicht schon von einem Lehrer gehört, der viel zu streng war, und allen Spass am Klavierspiel verdarb, und zwar derart gründlich, dass der Schüler am liebsten aufgegeben hätte? Und dann gibt es auch wieder diese engelsgleichen Lehrer, immer geduldig und geradezu die Hände ihrer Studenten haltend.

Andere Lehrer sind stolz auf die historische Verbindung eines aufstrebenden jungen Künstlers zu den grossen Traditionen der Meister. Wie oft schon haben wir gehört: ‘Sie war Klavierschülerin dieses oder jenes Lehrers, dessen Vorgänger auf Liszt selbst zurückgehen.’

Aber hilft das dem Klavierschüler wirklich dabei, bessere Werkzeuge für sein Spiel zu erwerben, oder überhöht es lediglich das Selbstvertrauen des Klavierschülers? Wie nützlich kann es sein, das eigene Talent durch das Talent der Lehrer des Lehrers zu legitimieren?

In Wahrheit schaffen Lehrer mit grossem Namen, aber ohne grundsolide Lehrmethoden nicht automatisch grossartige Schüler; auch wenn diese Lehrer selbst hervorragende Künstler sind, führt dies nicht immer zu Interesse an und Wissen über die Probleme und sehr spezifischen Erfordernisse eines Klavierschülers. Man könnte durchaus behaupten, dass ein Lehrer mit weniger grossem Namen, aber mehr Verständnis weitaus besser für einen Klavierschüler ist.

Eine extrem unkritische Akzeptanz jeglicher Autorität, wie auch der Glaube an das ‘ohne Schmerz kein Gewinn’- Credo sind einem jungen oder auch nicht so jungen Pianisten oft sehr abträglich.

Viele unserer grossen Pianisten haben und hatten Beschwerden; einige leiden unter Schmerzen auf Grund von Verletzungen. Sie vor allem sind es, die Klarheit über die verschiedenen Haltungen und Bewegungen, die die Grundlage der Klaviertechnik sind, benötigen.

Je mehr man die Geschichte der verschiedenen ‘grossen Klavierschulen’ mit all ihren stilistischen Mannierismen, Ideologien und Göttern verfolgt, desto mehr stellt sich die Frage:

Was passiert eigentlich wirklich an der Tastatur? Woraus bestehen die kleinsten Bewegungen, die der Spielapparatur ihre phänomenale Geschwindigkeit und erstaunliche Kontrolle verleihen? Was genau macht exaktes Timing möglich, und was beeinflusst die Tiefe und Intensität des Tastenanschlags? Wie formulieren sich die Leitsätze dieses Prozesses – vor allem die, welche mit blossem Auge nicht ohne weiteres erkennbar sind?



Ein einwöchiges Seminar über die Taubman-Methode, vom Golandsky-Institut an der Universität von Princeton angeboten, beantwortete erstmalig viele meiner Fragen, die ich in Sachen Klaviertechnik lange mit mir herumgetragen hatte. Ich war der Einladung eines begeisterten Piano-Fans, wie auch ich einer bin, nach Princeton gefolgt. Die Vorlesungen und Meisterklassen des Seminars wurden von verschiedenen Lehrern des Golandsky-Instituts und seines Gründungsmitglieds und künstlerischen Leiters Edna Golandsky durchgeführt..

Als ich mich Jahre später an meine erste Reaktion auf die Taubman-Methode erinnerte, realisierte ich, dass diese nicht wesentlich anders gewesen war als Edna Golanskys erste Reaktion, von der sie mir erzählt hatte: “Zum allerersten Mal in meinem Leben gab mir jemand rationale Erklärungen zum Klavierspielen und Musizieren. In all den Jahren, in denen ich Klavierunterricht genommen hatte, war nur Vages zu erfahren gewesen– trotz Einigkeit darüber, dass ich talentiert sei.”

Über ihr Treffen mit Taubman im Jahre 1967 sagt Edna Golandsky: “Obwohl ich nicht wusste, auf was ich mich da einliess, verstand ich doch, dass es hier um ein völlig anderes Verständnis ging – um ein visionäres Konzept koordinierter Bewegungen, das einen systematischen Ansatz in Sachen Klavierspiel bot. Diese zierliche, Respekt einflössende Brooklyner Dame hatte durch und durch logische Antworten auf die wichtigsten Fragen zu virtuoser Klaviertechnik zu bieten.”

Damals war Golandsky Studentin im Masterprogramm der Juilliard School of Music, und die hochgeschätzten Musikpädagogen Rhosina Levinne und Adele Marcus gehörten zu ihren Lehrern. Golandsky hatte mit Rückenschmerzen und körperlicher Ermüdung zu kämpfen, und fühlte, dass sie nicht mehr immer die volle Kontrolle über ihr Klavierspiel hatte.

“Manchmal lief alles gut, und dann wieder nicht”, erklärt Golandsky. “Doch hier wurden zum ersten Mal Probleme analysiert und gelöst. Innerhalb weniger Wochen hatte Frau Taubman meine Rückenschmerzen, die das Ergebnis meines sogenannten ‘entspannten Spieles” mit einfallendem Handgelenk und Fingerknöcheln waren, kuriert.”

Golandsky arbeitete in der Folge 25 Jahre lang mit Taubman, und die beiden Frauen gründeten das Taubman-Institut in dieser Zeit. Als klar wurde, dass sie die Taubman-Methode zu ihrem Lebenswerk machen wollte, gründete Golandsky zusammen mit John Bloomfield, Robert Durso and Mary Moran, drei ehemaligen Lehrkräften des Taubman-Instituts, das Golandsky-Institut als eigenständige Einrichtung.Diese Serie befasst sich mit einigen der einzigartigen Beiträge der Taubman-Methode zum Thema Klaviertechnik, und gibt bewährte Tipps, die nicht nur voll entfalteten künstlerischen Ausdruck fördern, sondern auch lebenserhaltende Strategien für verletzte Pianisten bieten.

Teil I: Die Herausforderung, die Grenzen der Funktionsfähigkeit zu finden

Dorothy Taubmans Genie besteht nicht nur darin, dass sie die Ursache der Probleme für Pianisten verstand, sondern auch, dass sie einen pädagogisch soliden Ansatz zum systematischen Umlernen von Bewegungen im Sinne einer effizienten Technik entwickelte. Es geht hier um Komplexität, die zu Schlichtheit führt.

Pianisten schmerzfrei zu machen und Einschränkungen aufzuheben ist laut Golandsky die Grundlage von Taubmans Ansatz. “Bestimmte physiologische Prinzipien in Bezug auf Bewegung machen Sinn und funktionieren nachweislich, und daher muss alles, was wir am Klavier tun, im Einklang damit stehen”, meint Golansky, während sie die Schatzkiste ihrer Weisheiten und Ratschläge öffnet und die Grundregeln der Methode, die sie seit vielen Jahren erfolgreich anwendet, erklärt. Regel Nr. 1:

Eine der Hauptursachen für Schmerz ist die Isolierung der Extremitäten, wie z.B. der Finger, der Hände, usw. Diese sollte unbedingt vermieden werden. Das Gegenteil von ‘Isolierung’ ist ‘harmonische Ausrichtung’.

Die harmonische Ausrichtung des Körperstützrahmens ist für unsere Gesundheit unerlässlich – eine Tatsache, die von vielen anderen Fachdisziplinen, wie z.B. der Feldenkrais-Methode und der Alexander-Technik immer wieder betont wird. Auf das Spielen eines Instruments angewendet gehen diese Disziplinen jedoch nicht weit genug.

Unsere Untersuchung sollte also mit den Körperteilen beginnen, die am Klavierspiel beteiligt sind. Nennen wir diese Körperteile die “Spielapparatur”.

Da sind zuerst einmal die Finger – die einzigen Körperteile, die die Tasten direkt berühren. Die Hand, die mit den Fingern verbunden ist, ist ihrerseits mit dem Unterarm verbunden, und der wieder mit dem Arm.

Das Wort ‘Koordination’ definiert sich als ‘Ordnen der Einzelteile eines Ganzen’. Um einheitliche Bewegung zu erlangen, müssen Finger, Hand und Arm immer miteinander verbunden und einander in natürlicher verlaufender Ausrichtung zugeordnet sein.

Um diese natürliche Harmonie aufrechtzuerhalten, müssen wir die Position der Fingerknöchel untersuchen. ‘Hohe’ Fingerknöchel erschweren schnelle Bewegungen und fordern den Fingern eine extreme Gelenkbewegung ab. Werden die Fingerknöchel nach oben gezogen, beschränkt dies ihre Fähigkeit sich zu öffnen, was wiederum zu einem Unterbrechung der harmonischen Ausrichtung des Spielapparatus führt..

Die Sitzhöhe ergibt sich aus der Notwendigkeit eines einheitlichen Spielapparatus. Zu hohes oder zu niedriges Sitzen beeinflusst die erfolderliche Koordination negativ. Die Länge des Oberarms sollte der Massstab für die Sitzhöhe sein. Um Gleichgewicht an der Tastatur zu erreichen, muss der Ellbogen mit der Oberfläche der Tastatur auf mehr oder weniger gleicher Höhe sein. Bei langem Oberarm sollte die Sitzhöhe also höher sein als bei kurzem Oberarm.

Der Pianist und das Gesetz der Bewegung (Edna Golandski und Danilo Perez, einer ihrer getreuen Folger)


Richtige Bewegungen sind für eine harmonische Ausrichtung unerlässlich, und ermöglichen ein Maximum an Lockerung und Geschwindigkeit. Unsere Gelenke sind die Fixpunkte für die Bewegung der Extremitäten; sie dienen sozusagen als Hebelpunkte. Zu niedrige oder einfallende Gelenkknöchel erschweren die Bewegung der Finger. Um eine falsche Position auszugleichen, werden die falschen Muskeln gefordert. So kann es z.B. vorkommen, das die Rückenmuskulatur bei einfallenden Fingerknöcheln involviert wird. Dies gilt auch für das Handgelenk. Wenn diese Hebelpunkte jedoch richtig plaziert sind, kann sich der gesamte Spielapparatus schnell und frei bewegen.

Man könnte einwenden, dass ein ‘Wunderkind’ diesen Grundregeln ganz natürlich folgt, und daraus schliessen, ein ‘natürlicher’ Gebrauch, der weder eines bewussten Denkvorgangs noch der Analyse bedarf, beweist, dass eine effiziente Technik keine Frage von Muskeltraining an sich sein kann.

Die gute Nachricht ist, dass Musiker, die keine Wunderkinder waren, trotzdem lernen können, genauso frei und leicht zu spielen wie diese. Es ist alles eine Frage des Antrainierens korrekter Bewegungen unter der Aufsicht eines erfahrenen Lehrers oder einer erfahrenen Lehrerin.

Die Darwinisten unter uns mögen argumentieren, dass Talent gottgegeben ist, und sich daher nicht modifizieren lässt; die meisten würden jedoch geltend machen, dass künstlerische Kompetenz und Bescheidenheit die Markenzeichen eines wahren Künstlers sind.

Es gibt keinen Grund, warum sich ein voll ausgebildeter Pianist nicht weiterbilden sollte. Keine andere Disziplin erteilt ihren Künstlern ‘ein für alle Mal’ höchste Anerkennung. Im Gegenteil – es ist das ständige Wachsen des Künstlers oder der Künstlerin, als Mensch und als Künstler, das Respekt schafft.

“Einige berühmte Pianisten, wie z.B. Leon Fleisher und Gary Graffman, gaben ihre Verletzungen in den letzten Jahrzehnten offen zu”, sagt Edna Golandsky. Diese Verletzungen sind nichts wirklich Neues.”

Und der polnische Pianist Ignaz Paderewski schreibt: “Ich hatte mich an den ständigen schrecklichen Schmerz in meinen Arm gewöhnt, und auch gelernt, mit den vier Fingern meiner rechten Hand zu spielen, und meinen Willen und meine Nerven an diese Qual anzupassen. Ich hatte das Gefühl – und meine Ärzte teilten es – dass ich nie mehr spielen würde.”

Einige von Rachmaninoffs Briefen sind ebenfalls sehr aufschlussreich: “Ich bin sehr müde und meine Hände schmerzen. Jede zusätzliche Handbewegung tut mir weh.” Und er fährt fort: “Meine Konzertsaison ist zu Ende, und meine Hände fühlen sich an, als hätten sie jegliches Gefühl verloren. Je müder ich bin, desto mehr Schmerzen habe ich.” Golandsky schliesst daraus: “Es ist offensichtlich, dass es auf unserem Gebiet seit mehr als einem Jahrhundert Probleme immensen Ausmasses gibt. Wir sollten uns daher ein für alle Mal eingestehen, dass ein Ignorieren bestimmter physiologischer Gesetze und Grundregeln in Sachen Bewegung, und ein Mangel an Bewusstsein bezüglich der Funktion des Klaviers unweigerlich auf Kosten des Körpers geht. Diese Regeln und Gesetze sind universell, und basieren auf Körperbau und Bewegung, sowie auf der Funktion des Klaviers.”

Und weiter: “Wenn wir nicht lernen, was es bedeutet, sich gesund und koordiniert zu bewegen, werden sich die körperlich einschränkenden und psychisch verheerenden Konsequenzen, unter denen so viele Musiker gelitten haben und noch leiden, nicht umgehen lassen. Wir haben das Werkzeug, die Technik und das Wissen, dies zu vermeiden. Kurzum: Klavierspiel sollte und muss nicht schmerzhaft, sondern eine wirkliche Freude sein. Ist diese Vision wirklich zu gut um wahr zu sein?

Oder handelt es sich hier um eine machbare Realität, die mit richtigem Werkzeug und Wissen geschaffen werden kann? Fortsetzung folgt. Themen der nächsten Folge: Pianisten sprechen über ihre Erfahrungen mit der Taubman-Methode und deren kontinuierlichen Einfluss. Und: Erfolgsgeschichten aus dem Golandsky-Institut.

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