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Der Pianist Sandro Russo erkundet den berühmten Steinway CD-75


Russo nennt es “ein magisches Klavier, das jede persönliche Stimmung, die der Auftrittskünstler verspürt, wiedergeben kann und zu dem ich eine so tiefe Verbindung fand, dass ich mich sicher fühlte, meine eigene Klangwelt zu schaffen.”

Sein meisterhaft ausgeführter Auftritt auf dem Horowitz Klavier vom Februar 2010, dem Steinway Konzert CD-75, das auf DVD über seine Webseite http://www.sandrorussopianist.com diesen Sommer zu bekommen ist, bietet ein breites Spektrum eines – in seinem Kern – ‘romantischen’ Repertoires, vom frühen 19. Jh. bis zur Mitte des 20.. Jahrhunderts.  Die Auswahl reicht vom eher ‘architektonisch’ klassisch strukturierten Arbeiten bis zum höchst ausdrucksstarken und auflammend Virtuosem.

Der “romantische Klangfad en und der der Spielelemente” war für Russo der inspirierendste Teil. Er meint: “Ich war immer an Stücken interessiert, die einem eine Welt der Kontraste und sehr dynamische Stimmungswechsel liefern. Mich faszinieren die Elemente von Gut und Böse – die widerstreitenden, sich im Duell befindlichen Kräfte und wie diese sich in einem Stück zusammenfinden und innerhalb des romantischen Repertoires in ihrer ganzen Bandbreite zum Leben kommen.” MENDELSSOHN (1809-1847) Andante Cantabile und Presto Agitato. 19 Variations sérieuses, Op.54 CHOPIN (1810-1849)

Nocturne in Des-Dur Op.27 Nr.2

LISZT (1811-1886)

Petrarca Sonette104

MEDTNER (1880-1951)

Märchen in c-Moll Op. 8 Nr.2

SKRJABIN: (1872-1915) Etüde in cis-Moll Op.42, Nr.5 Etüde in dis-Moll Op. 8 Nr. 12 Sonate Nr. 4 in fis-Dur Op. 30 RACHMANINOW (1873-1943)

Waltzer von der Suite No.2 für zwei Klaviere Op. 17

(Transkription von Vladimir Leyetchkiss Weltpremierenaufnahme)

Teile von Russos sehr ausgewogenem Programm, das teilweise über You-Tube zu bekommen ist, gehören’ wirklich Horowitz, wie die ikonischen  Beschwörungen von Horowitz’ historischen Auftritten. Beispiele davon sind die geliebte dis-Moll Skrjabin Etüde, seine hinreißende Zugabe bei seinem berühmten ‘Comeback’ Klavierabend in Moskau – ein Muss bei jeder Repräsentation des Meisters und seines Steinway Klaviers.

“Die Skrjabin Etüde ist natürlich eine seiner einzigartigsten Darbietungen, die seine extreme Vielseitigkeit zeigt. Nie gleich klingend, mit keiner endgültigen Version, offenbaren meine Interpretationen sicherlich weniger an Improvitationsgenie und mehr an organischer Struktur. Insbesondere stelle ich auch klassisch inspirierte Stücke vor, wie das von Mendelssohn, und gebe so ein differenzierteres Bild davon, wie jeder Komponist ensprechend seiner einzigartigen Partitur klingen sollte, egal auf welchem Instrument gespielt wird. Es bleibt dem Pianisten überlassen, die einzigartige Balance zwischen den Anforderungen des Komponisten und den Interpretationen davon von Seiten des Pianisten zu finden.” sagt Russo über seine Programmauswahl. 


Franz Mohr, der leitende Aufnahmetechniker an der Steinway Konzert- und Künstlerabteilung, der den le gendären Pianisten Vladimir Horowitz auf vielen Konzertreisen von 1962 an bis zum Tod des Meisters im Jahre 1987 begleitete, spricht in seinem Buch “Mein Leben mit den großen Pianisten” aus dem Jahre 1992 von dem spezifischen Steinway Klang.

 “Der Bedarf an Klavieren, die stärker beanspruchbar sind, um dem bravorösen Klavierspiel und der Virtuosität der herausragendsten  Künstler gewachsen zu sein, war eine Herausforderung, die Steinway fabelhaft gemeistert hat. Sie bemühten sich ständig darum, Klaviere zu bauen, die sowohl Beanspruchbarkeit als auch gute Klangqualität aufwiesen.” Und er führte fort: “Der Steinway Resonanzboden ist die ‘Seele’ des Klaviers. Aus einer feingemaserten Alaska-, Ostküsten- oder europäischer Fichte gemacht – einem Holz das ungewöhnliche Stabilität und Resonanz unter Belastung aufweist – erlaubt das Design völlige Bewegungsfreiheit, indem es eine größere Menge von Schwingungen freigibt und dadurch eine reichere und dauerhaftere tonale Klangresonanz, von einem extremen Pianissimo bis zu einem Super-forte ermöglicht.”


“Im Jahre 1983, als Horowitz zum ersten Mal für Auftritte nach Japan fuhr, nahmen wir das Klavier CD-75, das im Jahre 1911 gebaut wurde und von dem ich sagte, es habe die richtige Spielart,” erzählt Franz Mohr.

“Als ich das CD-75 fand, wusste ich gleich, dass es mit ein bisschen Arbeit das perfekte ‘Horowitz Klavier’ werden würde. Er spielte es einige Jahre lang sehr gern, kehrte aber dann zu seinem eigenem 314503 Klavierflügel zurück, derjenige, den wir für seinen Moskau Klavierabend mitbrachten.”

Die derzeitige Eigentümerin des CD-75, die pensionierte Steinway Klavierstimmerin Tali Mahanor, übersetzte den Begriff Spielart so: “Ich mag es, wie es sich anfühlt, wenn ich darauf verweise, wie sich das Klavierspiel unter deinen Händen anfühlt.”

Natürlich ist es für einen jungen Künstler nicht einfach, einem Vorgänger gerecht zu werden, der so legendär wie Horowitz ist.

Russo erklärt: “Auf diesem besonderem Instrument, fühlte ich natürlich einen

Sandro Russo


großen fast zeremoniellen Einfluß. Was ich vom Zuhören bei Horowitz gelernt hatte, inspirierte mich sehr, aber dadurch, dass ich auf diesem Klavier spielte, fühlte ich mich weder so als wäre ich Horowitz, noch empfand ich eine Notwendigkeit, ihn oder seine Manierismen zu imitieren. Vielmehr vergrößerte ich meine eigene musikalische Vision.” Als ich direkt nach seiner DVD Aufnahme Sandro zu mir nach Hause einlud, gab er mir eine Aufnahmevorschau, indem er das schöne Sonett auf meinem alten  Hamburg Steinway Konzerflügel spielte, einem Instrument, das zwar nicht von Horowitz gespielt wurde, aber dennoch von einigen sehr temperamentvollen Pianisten, einschließlich von Sandro Russo. Dann teilte er mir die Geschichte seiner sehr persönlichen Verbindung zu Horowitz mit und erzählte mir von seinen persönlichen Erfahrungen am Steinway CD-75 während der Aufnahme: 

“Ich war 12 Jahre alt; ich hörte in meiner Heimat Sizilien eine Ehrung an Horowitz, die vom Weißem Haus in Washington gesendet wurde. Ich war so von Horowitz’ Virtuosität beeindruckt, die eine sehr spezielle intime  Qualität besaß und gleichzeitig so brilliant und lyrisch  war.

Sein Beugen der Klangfarben und seine unbegrenzte Klangbreite, die von flüsternden Pianissimos bis zu vulkanartigen Fortissimo Ausbrüchen  reicht, betonte die noch kompliziertesten Details  – wie versteckte Wahrheiten, die noch nie zutage gebracht wurden. Diese offenbarten mir die Weisheit musikalischen Verstehens, etwas nachdem ich mich während dieser eindrucksvollsten Zeit meines Lebens gesehnt habe. Es war in dieser Zeit, dass ich mich entschied, Musik zu meiner Berufung und meinem Beruf zu machen.

Ich erinnere mich besonders an seine Chopin Fantasie Polonaise von seinem Auftritt in der Royal Festival Hall in London, oder an Liszts Mephisto Walzer von seinem Klavierabend an der New Yorker Metropolitan Oper.


Ich habe immer wieder diesen Aufnahmen zugehört, die – wie ich später feststellte – beide auf dem CD-75 gespielt wurden. Ich hatte mich fortwährend gefragt, welche Eigenschaften Horowitz, der anscheinend immer genau wusste, welchen Klang er anvisierte, an einem Klavier schätzen würde.

Im Jahre 2006 machte ich dann meine erste persönliche Begegnung mit diesem Instrument, das bereits große Bedeutung für mich hatte. Tali Mahanor, die ich im Jahre 2000 traf und mit der ich seitdem befreundet bin, war Eigentümerin dieses prächtigen und  herrlichen Instruments geworden und sie hatte selber eine bemerkenswerte Geschichte zu erzählen. Ich hatte bereits einmal die Gelegenheit, das Klavier kurz in ihrem Workshop zu spielen und war von seiner Schönheit und Individualität angetan. Jede Note hatte eine spezifische Farbe, mit einer unvorhersehbaren und doch inspirierenden Klangqualität  und einem fast auffälligem persönlichen Charakter, die sich jeder weiteren Kategorisierung entzog.  Nun war es im Hause von Maureen Walsh in Connecticut untergebracht, einer gemeinsamen Freundin von Tali und mir.  Als Musikliebhaberin und Sammlerin guter Instumente lud sie mich im März 2010 zu einem Klavierabend und einer DVD Aufnahme in ihr Haus ein.”

Jedes Steinway kann durch die Modelnummer identifiziert werden; das CD-75 trägt die Nummer “156975.” Diese Serienummer ermöglicht es, den Weg eines Instruments zu verfolgen. Tali Mahanor fand heraus, dass nach dem Tod von Horowitz das Klavier von Juilliard Lehrerin Adele Marcus gekauft wurde. Später verblieb es in dem Steinway Lagerraum und ging dann als Leihgabe an den Pianisten Lang Lang. Schließlich verkaufte die Steinway Company das Klavier an die pensionierte  Tali Mahanor, die sich in das Instrument verliebt hatte, als sie sich jahrelang um dessen Herz und Seele gekümmert hatte. Der Kreis der berühmten CD-75 Geschichte schließt sich mit Sandro Russo.



Russo meint: “Ich habe ein Instrument gefunden, das all das mitteilen kann, was ich in meinem Programm ausdrücken möchte, um so einmal mehr meine Empfindungen und Anhänglichkeiten mit einem historischen Abschnitt des Klavierspielens zu verbinden.”

Seitdem ich den Pianisten Sandro Russo im Hause meiner Nachbarn Pierra und Peter getroffen hatte, verfolgte ich viele seiner Auftritte. In meiner Erinnerung sticht seine hinreißende Chopin Große Polonaise, aufgeführt in der Meisel Gallery in Soho, New York heraus. Unter den Abendgästen war der Komponist Lowell Lieberman; Russo hatte sowohl die USA Premiere von Liebermans zehnter. Nocturne (im Jahre 2007 in New York) als auch die Weltpremiere seiner ‘Etüden von Brahms Liedern’, op. 88 (im Jahre 2009 in Atlanta) aufgeführt. 

Hier gab es einen sensiblen Pianisten, dessen großartiger Stil mich an die Traditionen und den Glanz des ‘Goldenen’ Klavierzeitalters erinnerte. Er muss einen ähnlichen Eindruck auf Terry McNeill gemacht haben, den Produzenten der Concerts Grand Series am Santa Rosa Junior College in Kalifornien. In seiner Besprechung von Sandros Auftritt im April 2010 sagt er:

“In jüngster Zeit haben Pianisten  (z.B. Schiff, Fellner, Biss) die Sonate und besonders das abschließende Allegro ma non troppo in einem ‘architektonischen‘ Stil gespielt, der ganz im Gegensatz zur Leidenschaft die Struktur und die inneren thematischen Beziehungen betont. Mr. Russo wollte davon nichts wissen, indem er die emotionalen Energie und den Elan des Satzes aufgriff und das Publikum am Schluß mit seinen letzten fortissimo Akkorden von ihren Sitzen riss. Das Klavier wäre bei Berührung heiß gewesen, als er unter Jubel die Bühne verließ.” Im Jahre 2008 hatte Sandro die Gelegenheit ein weiteres,

geschichtsträchtiges  Instrument, das 1862er Bechstein Piano (#576) zu spielen, dass einst im Besitz von Liszt war und von ihm selbst gespielt wurde. Als es aus Anlaß seiner aller ersten Amerika-Tournee im Bechstein Showroom in New York ausgestellt wurde, begann Sandro seinen Auftritt auf einem modernen Konzertflügel, der zu den feuerwerkartigen Werken seines Programms passte. Dann stellte er die147-jährige ‘Grande Dame’ mit Liszts Consolation Nr.3 vor; später nahm er eine Auswahl seines Zugabe-programms auf diesem Instrument auf. Nachdem an jenem Abend die meisten Gäste den Bechstein Showroom verlassen hatten, blieb ich dort noch weiter mit Sandro und hatte die Gelegenheit, mein Lieblingstück von Liszt – “Un Sospiro” – auf diesem beinah quietschendem Instrument zu spielen, das mir aber nichtsdestotrotz ermöglichte, die historische Relevanz dieses Instruments zu verstehen.

In ihrem Interview mit Russo über die Aufnahme des Liszt Klaviers bemerkt Maria Thompson auf Broadstreetreview.com: “...nach dem Tod von Liszt wurde das Liszt Piano nie aufgenommen oder gar bei öffentlichen Aufführungen verwendet; solch ein Zugang war also in der Tat etwas ganz Besonderes.”

Sandro erinnnert sich: “Es musste als eine ganz außergewöhnliche Chance verstanden werden, Liszts Museumsstück aus einer vergangenen Epoche zu präsentieren und es unseren Herzen nah zu bringen. Ich war ganz begeistert von der einzigartigen Gelegenheit, solch einen historischen Moment für dieses Klavier durch eine Aufnahme unsterblich zu machen und vor allen Dingen aber, in näheren Kontakt mit der Klangwelt meines geliebten Meisters zu kommen.”



Sich beim Goldenen Zeitalter des Klaviers zuhause zu fühlen bedeutet für Russo aber nicht, dass er kein Interesse an zeitgenössischen Kompositionen oder an weniger bekanntem Repertoire hat.

Arthur Sato zitiert Russo in seinem NY Rising Star Interview von 2009 wie folgt: “Es gibt viele Werke, die die Superstars unter den Musikern nicht berühmt machen, aber dennoch eine wundervolle  Qualität besitzen….Ich bin sehr an der zeitgenössischen Musik von Komponisten interessiert, besonders von denen, die selbst Pianisten sind, da sie wirklich wissen, wie man für dieses Instrument komponieren muss. Außerdem fühle ich mich als Teil der gleichen Lebenstradition...”

Sato schließt: “Das Beste daran ein klassischer Musiker oder ein darstellender Künstler zu sein ist, dass man Teil einer Genealogie, Historie und Tradition der Kunst und seiner Ausübung ist.”

Gleich, ob er auf dem antiken Liszt Klavier oder dem Steinway CD-75 spielt, Sandro Russo vermittelt seine Liebe zur Musik mit großer Einfühlsamkeit und temperamentvoller Leidenschaft. Wenn man dazu noch sein tiefgehendes Verständnis für den historischen Kontext seiner Bemühungen nimmt, kann man sagen, dass der Begriff “gelebte Tradition” in der Tat sehr lebendig ist.





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