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In den richtigen HĂ€nden – Musik-PĂ€dagogen bewahren Musiker vor Verletzung

Die englische Fassung dieses Artikels wurde  auf Jessica Duchens JDCMB  als Gast-Blog veröffentlicht.

“Das Leben endet nicht aufgrund einer Verletzung  – dem kann man entkommen!” Alexey Koltakov, Pianist


Dank des Ă€ußerst wichtigen Werkes der verstorbenen Dorothy Taubman, deren ĂŒberzeugende Einsichten die zugrundeliegenden Prinzipien ‘natĂŒrlicher’ Klaviertechnik vermitteln, ist es in der heutigen Musikwelt kein Geheimnis mehr, wie Pianisten Verletzungen an der Tastatur verhindern können.


Basierend auf Physik und Physiologie identifiziert Taubmans “natĂŒrlicher” Ansatz, der ein VerstĂ€ndnis aller Arten von im Zusammenhang mit Verspannung und dem Syndrom repetitiver Bewegungen stehenden Verletzungen beinhaltet und auch auf andere Instrumente angewandt werden kann, wo es persönliche EinschrĂ€nkungen zu ĂŒberwinden gilt, indem angespannte und einschrĂ€nkende Bewegungen vermieden werden. Ihre Theorie bestĂ€rkte Musiker darin, nicht durch ĂŒbertriebene Übungen und abtrĂ€gliche, endlose Wiederholungen von schon an sich falschen Bewegungen, ihre Finger nicht zu verkrampfen – oder zu verbiegen.


Foto: Alexey Koltakov am Klavier im Juilliard Studio von Veda Kaplinsky

Und dennoch, es passiert immer wieder! Junge Musiker lassen sich so vom intensiven Training mit ihrem Instrument vereinnahmen, ohne ernsthafte Warnzeichen wahrzunehmen und, wie der Pianist Alexey Koltakov es ausdrĂŒckt, damit enden, “auf den Eisberg zuzusteuern!”


Der ukrainische Pianist fĂŒhlte die ersten Symptome der Probleme, wĂ€hrend er am van Cliburn Wettbewerb teilnahm. “Ich empfand im Vergleich zu meiner Linken,  irgend eine EinschrĂ€nkung in meiner rechten Hand verglichen mit meiner Linken. Ich konnte nicht frei Oktaven spielen, aber am Anfang war das nur minimal. Mein Lehrer Viktor Makarov, der spezielle Übungsmethoden verwendete, um schnellere Technik und bessere Ausdauer aufzubauen und bei anderen Wettbewerbsteilnehmern eine gute Erfolgsbilanz hatte,  ersuchte mich, mehr zu ĂŒben. Einige Jahre spĂ€ter sollte ich am Arthur Rubinstein Wettbewerb teilnehmen und drei Tage vor dem Auftritt war es mir dann nicht möglich, ĂŒberhaupt eine Oktave zu spielen. Ich wollte mir nicht die Tatsache eingestehen, das etwas wirklich nicht in Ordnung war, aber ich konnte meine rechte Hand nicht richtig kontrollieren. Ich kam zu Veda (Kaplinsky) und sie hatte in diesem Moment eine recht gute Idee dazu, was es war – fokale Dystonie - was spĂ€ter auch von einem Neurologen diagnostiziert wurde. Ich hatte die Dinge zu weit gehen lassen und die einzige Gesundungs Regenerationsmöglichkeit war es, alle Bewegungen fĂŒr das Klavierspielen von Grund auf neu zu lernen. Wo ich mit ĂŒbertriebenem Druck meine Finger gewunden hatte, musste ich nun ganz bewusst einen spannungsfreien Ansatz finden. Nach einer Zeit von fĂŒnf Jahren macht mir nun wieder das Klavierspielen sehr viel Spaß. Jetzt brauche ich tĂ€glich ungefĂ€hr 3-4 Stunden Übung und ich bekomme viel bessere Ergebnisse. Ich fĂŒhle mich bei meinem Musikmachen viel sicherer, indem ich einen nuancierten Klang in einer Weise zum Ausdruck bringen kann, wie ich es fĂŒr richtig halte. Meine Oktaven sind stark und es gibt keine der vorher bestehenden Verspannungen im Unterarm. Es ist ein völlig anderer mĂŒheloser Anschlag sagt Koltakov, der die Tatsache bezeugt, dass Taubmans Prinzipien, wenn sie richtig von spezialisierten PĂ€dagogen angewandt werden, den ganzen Unterschied ausmachen.  Koltakov teilt frei seine Erfahrungen mit anderen Musikern in der Hoffnung, dass ihnen dieses Elend erspart bleibt. Er möchte, dass es sich herumspricht, dass es Hilfe gibt und ihnen versichern, dass “das Leben nicht mit einer Verletzung aufhört – man kann das ĂŒberwinden!”


“Alexey verdrĂ€ngte das total und begann, einen Ausgleich zu finden und hinterfragte nie, was er lehrte. Er musste seine Muskeln neu ausbilden – nicht viel anders als bei einem Schlaganfallsopfer und es forderte von seiner Seite her sehr viel Durchhaltevermögen und fast fĂŒnf Jahre. Aber wenn ich ihm heute beim Spielen zuhöre, sind seine HĂ€nde total gesund und ich bin zu TrĂ€nen gerĂŒhrt,” meint Veda Kaplinsky, die Leiterin von Juilliards Klavier Fachbereich.


“Taubman verĂ€nderte auch mein Leben und brachte mich auf die Bahn, auf der ich mich heute befinde,” Kaplinsky fĂ€hrt fort, “bis ich sie traf, ging ich von der Annahme aus, dass man entweder talentiert sei oder nicht und es keine technischen Probleme gĂ€be, wenn man genĂŒgend Talent hat. Man musste blind ĂŒben, um EinschrĂ€nkungen zu ĂŒberwinden und erst spĂ€ter begriff ich wie entscheidend es ist, zu untersuchen wie man sich bewegt und auf welche Weise man sich dem physischen Kontakt mit dem Instrument nĂ€hert. Da ich Taubmans Ansatz verstand, war ich zuversichtlich und in der Lage meinen Studenten den Grund hinter allem zu erklĂ€ren. Das machte einen riesigen Unterschied bzgl. meiner FĂ€higkeit, die Mauern des Widerstands zu durchbrechen, denen ich manchmal begegne, wenn ich drastische und notwendige VerĂ€nderungen vorschlage. NatĂŒrlich habe ich pro Jahr durchschnittlich 30 Studenten und man entwickelt seine eigene Weise, diese Information zu vermitteln und jeder Student hat andere BedĂŒrfnisse. Ich kann nicht mehr unterscheiden, wo Taubman anfĂ€ngt und aufhört, aber einige der grundlegenden Prinzipien und AusdrĂŒcke verwende ich bis auf den heutigen Tag. Ich erinnere mich, wie mich der Titel des geplanten, aber nie publizierten Buches inspirierte: ‘Das Klavier spielt dich’; es brachte mich zu der Einsicht: die brilliante Idee, die Mechanik des Klaviers zu benutzen anstatt das Instrument zu bekĂ€mpfen steht im Mittelpunkt. Diese Überlegung steht dem, was ich gewohnt war so fremd gegenĂŒber und dennoch funktionierte es so gut.

Diese Erkenntnis widersetzte sich so vielen Dingen, die wir intuitiv machten und in denen wir geĂŒbt waren. Es war vor allem Taubmans diagnostische FĂ€higkeit, die mich beindruckte. Sie konnte ein Paar HĂ€nde betrachten und sofort sehen, was das Problem war und was in Ordnung gebracht werden musste.” Kaplinsky nimmt fĂŒr sich selbst in Anspruch, so eine Art Röntgenblick entwickelt zu haben, der es ihr schnell erlaubt, die Ursache fĂŒr Schmerz und Verspannungen zu erkennen, selbst dann wenn die Betroffenen ihre Symptome ignorieren.


„Physisches Unbehagen hĂ€lt einen davon ab, das Instrument zu auf eine Weise zu kontrollieren, die einen befĂ€higt sich musikalisch auszudrĂŒcken,” sagt sie. Die physischen Angewohnheiten der KĂŒnstler werden selbst Teil deren Wahrnehmung, wie ausdrucksvoll sie sein können. Wenn etwas schiefgeht, dann ist die Essenz des Wohlergehens des Musikers gefĂ€hrdet. Es ist fĂŒr die Leute wichtig zu erkennen, dass die VerĂ€nderung der schĂ€dlichen physischen Gewohnheiten nicht ihre AusdrucksfĂ€higkeit einschrĂ€nkt. Im Gegenteil, die HĂ€nde zu befreien, befĂ€higt sie, grĂ¶ĂŸere Möglichkeiten zu erkunden und konsistenter zu sein. Unbehagen fĂŒhrt zum Verlust von Kontrolle und der Motivation zum Üben. Aber letztendlich muss diese Erkenntnis tief verwurzelt werden, wie eine zweite Natur. Sich korrekt zu bewegen, bedeutet all die HĂ€rte und Ungeschliffenheit von seinem Klang zu verlieren, gut auszubalancieren und Störimpulse hinsichtlich der Fingerarbeit zu verhindern; kurzum, es geht darum, durch eine schimmernde Artikulation eine mĂ€chtige Projektion zu gewinnen”, was natĂŒrlich fĂŒr einen KĂŒnstler ein Traum ist, der hier in ErfĂŒllung gehen kann.



In einigen FĂ€llen leitet Kaplinsky einige ihrer Studenten an die Taubman Spezialistin Edna Golandsky weiter, die fĂŒr viele Jahre als Dorothy Taubman nahestehender ProtĂ©gĂ©, ihre Assistentin und Ko-dozentin war. Golandsky, die aus ihrem Studio in New York heraus unterrichtet, wurde auch MitbegrĂŒnderin des Golandsky Instituts, das seine jĂ€hrliche Sommerresidenz an der Princeton UniversitĂ€t anbietet.

Foto: Dorothy Taubman (links), Edna Golandsky (rechts)


Foto: Mit dem Author des Artikels, Ilona Oltuski in Princeton University Golandsky Symposium


Kaplinsky, hatte anfĂ€nglich ĂŒber Taubman, die vor kurzer Zeit im Alter von 95 Jahren verstarb, von Edna Golandsky gehört , die bereits vor 45 Jahren mit Taubman studierte,” sagt Kaplinsky, die zunĂ€chst dem, was sie gehört hatte, kritisch gegenĂŒber stand. Indem sie ihre Mitbewohnerin am College in der BemĂŒhung begleitete „sie davor zu retten”, Taubmans “Kult” zu verfallen, Ă€nderte Kaplinsky in dem Moment ihre Meinung, als sie von der sehr warmherzigen und brillianten Dame, die ganz anders war, als ich sie mir vorgestellt hatte, begrĂŒĂŸt wurde.” Kaplinsky sagt, “ich erinnere mich, wie sich der Klang meiner Kollegin auf einmal verĂ€nderte, nachdem Taubman ihren Ellbogen nur ein wenig berĂŒhrte. Ich war völlig erstaunt und fragte sie, wĂŒrden sie mir auch zuhören? – Und das war der Zeitpunkt, als ich mit ihr zu studieren begann.”


Obwohl Kaplinsky nicht öffentlich das Taubman Training als ihre SpezialitĂ€t verkĂŒndete, war es eine wohlbekannte Tatsache, dass sie stark an die Taubman Prinzipien glaubte und diese in ihren Unterricht integrierte. Es gibt Belege, dass Kaplinsky bei der Klavier Welt Konferenz, als sie ĂŒber ihre persönliche Beziehung zu Taubman sprach,  ihre Methode begrĂŒĂŸte. Diese Aufnahme ist nun nicht mehr im Umlauf, aber es gibt eine Anzahl von Aufnahmen, die vom Golandsky Institute veröffentlicht worden sind, die sich als ein hervorragender Ausgangspunkt eignen, sich mit Taubmans Prinzipien vertraut zu machen; einige sind auch auf der Naxos Bibliothek Webseite erhĂ€ltlich und sind ĂŒber Musikakademien und öffentliche Institutionen.


Was zĂ€hlt sind tatsĂ€chliche Ergebnisse! Alexey Koltakov trat vor einigen Wochen im Rahmen eines Konzertes in Julliards ‘Morse Hall’ auf und verkĂŒndete auf seiner Facebook Seite: “Heute Abend hatte ich nach fĂŒnf Jahren fokaler Dystonie in meiner rechten Hand meinen ersten ‘kontrollierten’ öffentlichen Auftritt!"

Gratulation!


Von Ilona Oltuski

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