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Verbier 2011 – Treffen der Musikgiganten



Im 18. Jahr seines Bestehens bietet das Verbier Festival seine eigene Festival Akademie, sein eigenes Kammerorchester und ein Orchester – alles Institutionen, die es begabten jungen Musikern erlauben, von den Besten ihres Fachs zu lernen. Und Jahr für Jahr kommen in Verbier Musiker zusammen, nicht nur um Konzerte, Masterclasses und andere Präsentationen anzubieten, sondern vor allem auch um den sozialen Aspekt dieses Zusammenkommens zu geniessen, und sich – selten genug – im Kreis anderer Musiker zu entspannen. Der Pianist Evgeny Kissin zum Beispiel war dieses Jahr bereits das 16. Mal dabei. Für das leibliche Wohl und die standesgemässe Unterbringung der Künstler und ihrer Angehörigen sorgten auch dieses Jahr wieder der Begründer und Direktor des Festivals, Martin T:son Engström, und sein Netzwerk grosszügiger Unterstützer. Natürlich gibt es auch eine ganze Reihe Musiker, die, wie auch das Stammpublikum, Jahr für Jahr die Reise nach Verbier antreten, um in diesem Musikparadies an der Grenze zwischen Frankreich und der Schweiz die Darbietungen der internationalen Superstars der klassischen Musikszene zu geniessen. Dank Medici.tv und deren Sponsoren werden Konzerte nun auch zum Teil live über das Internet gestreamt, und erfreuen sich einer virtuellen Internationalität. Unter den exquisiten Darbietungen des Festivals stach dieses Jahr vor allem der für den 26. Juli angesetzte Konzertabend hervor. Dabei hatte die Aufführung mit einer ganzen Menge von Problemen begonnen: Der Geiger Gidon Kremer sollte eigentlich, wie auch in den Jahren zuvor, Teil des Programms sein, hatte aber in letzter Minute abgesagt, und auch der Auftritt von Bass-Bariton Thomas Quasthoff war abgesagt worden. Es musste also improvisiert werden. Doch trotz der Absagen wurde aus dem Abend ein rauschendes Fest internationaler Starpower, die einem Grossereignis in Hollywood in keinster Weise nachstand: Mondäne, attraktive Musiker in spektakulärer Abendrobe, komplett mit Kostümwechseln, wie denen Yuja Wangs, waren genauso Teil des Programms wie es die unverfälscht emotionale Kraft der musikalischen Darbietungen war. Die Interaktion der Hochtalentierten trug weiterhin zur Steigerung dieser Zelebrierung höchsten Musikgenusses bei. Joshua Bell, Anne-Sophie Mutter, Ivry Gitlis, Leonidas Kavakos, Roby Lakatos, Julian Rachlin, Vadim Repin, Yuri Bashmet, Mischa Maisky,  Gautier Capucon, Denis Matsüv, Yuja Wang, Khatia Buniatishvili, Evgeny Kissin, und the grosse Martha Argerich sorgten für den vollen Erfolg des Abends.

Das Ensemble.  Photo: Aline Paley Das Programm bestand aus einer Auswahl kürzerer Beiträge sowie Werken von Mendelssohn, Brahms, Kreisler und Shostakovich, bot aber auch einige überraschende Elemente, wie die Musik von Monti Csardas, dessen charakteristische Zigeuner-Resonanzen die dynamische Atmosphäre im Saal weiter anheizten. In einem der bewegendsten Momente des Abends würdigte Evgny Kissin den am Vortag verstorbenen Vater des ukrainischen Geigers Yuri Bashmet mit einer Darbietung, die eine symbolische Brücke zwischen Kunst, Leben und Tod schlug. Bashmet, der trotz seiner tiefen Trauer nicht auf seinen Auftritt verzichtet hatte, liess keinen Zweifel darüber, wie viel ihm Kissins unterstützende Geste bedeutete: Die beiden Musiker hatten eine Komposition des tchechischen Komponisten Benda aufgeführt, obwohl Kissin die in allerletzter Minute aus Moskau gefaxte Partitur erst am Tag des Konzerts zum allerersten Mal sichten konnte. Nur wenige Minuten waren den beiden Musikern vergönnt gewesen, sich mit dem Material vor dem Konzert vertraut zu machen, und beide Musiker arbeiteten von einer einzigen Kopie.

Repin/Kissin/Bashmet/Maisky Photo: Aline Paley

Als Kissins Stern am internationalen Musikhimmel zu leuchten begann, war Bashmet bereits ein bekannter Geiger in Russland. Bashmet erinnert sich daran, wie sehr ihn das Talent des damals 12-jährigen Kissin und dessen Chopin-Interpretationen begeistert hatten: “Es war wie eine Offenbarung, etwas nie zuvor Gehörtes, ganz so, als hätte sich der Himmel geöffnet”, schwärmt er. Liebevoll kommentierte er Kissins bescheidene Natur und scheue Persönlichkeit, die Kissin immer wieder sein Licht unter den Scheffel stellen lässt. Aber nicht nur Bashmet drückte seine tiefe Bewunderung für Kissin aus, sämtliche Künstler des Abends waren sich an diesem Punkt einig.In Verbier wurde das Publikum Zeuge der Bewunderung der beiden Musiker füreinander, die sich sowohl musikalisch als auch durch deren Körpersprache ausdrückte. Es war vor allem Kissins Mitgefühl für Bashmet, das den Raum füllte, als der Pianist den Geiger von der Bühne begleitete. Bis zuletzt war nicht sicher gewesen, ob Martha Argerich an diesem Abend auftreten würde.

Kissin/Argerich Photo: Aline Paley Glücklicherweise tat sie es, und obwohl sie zögerte, nach ihrem erst vier Tage zurückliegenden, hoch gelobten Konzert wieder auf der Bühne zu stehen, sorgte sie letztendlich für ein überwältigendes Finale des Abends. Tosender Beifall für ihre aussergewöhnliche Virtuosität und ihre atemberaubenden Tempi, die sie zusammen mit Evgeny Kissin in Lutoslawskis Pagagini-Variationen für zwei Pianos demonstrierte, folgten ihrer Darbietung. Bei ihrem Auftritt mit dem legendären Geiger Ivry Gitlis zeigte sie sich als äusserst einfühlsam. Der Virtuose wurde  abwechselnd von den jungen Pianisten Khatia Buniatishvili and Yuja Wang begleitet; bei seinem Auftritt mit Martha Argerich bewies sich die ganze Virtuosität des nunmehr 89-jährigen Meisters, der einmal mehr bewies, dass wahres musikalisches Können kein Alter kennt.

Gitlis/Wang/Maisky Photo: Aline Paley Die Proben für den Konzertabend hatten schon am Abend zuvor begonnen, und gingen - zeitlich aufgeteilt nach Gruppen von Musikern, die zusammen auftreten würden -  am Tag des Konzerts weiter. Auch Kissin probte am Vorabend, und ein weiteres Mal am Tag des Konzerts. Die Probe sollte mit der Klaviersonate Op. 120, No. 2 von Johannes Brahms beginnen; der für den Part der Viola vorgesehene Bashmet hatte sich jedoch verspätet. Nachdem Kissin seine Lederjacke an die Ecke des Klaviers gehängt hatte, verlor er keine Zeit, sich ans Klavier zu setzen und die Sonate durchzuarbeiten. Die riesig leere zeltartige Struktur des Salle des Combins füllte sich umgehend mit Kissins klar definierten Läufen, die er aus verschiedenen Perspektiven anging. Er suchte sich einen Ausgangspunkt, und dann einen weiteren, vom ersten etwas entfernt, und integrierte seine Läufe in die folgende Passage. Manchmal legte er dabei den Schwerpunkt auf die eine oder andere Hand, durchlief einen Teil des Stücks, und brachte schliesslich alle Elemente wieder zusammen. Ein andermal variierte er seinen Ansatz, indem er schneller in die Tasten griff, dann wieder langsamer, lange Atempausen schaffend, die die Zeit fast zum Stillstand zu bringen schienen. Er ging mühelos zu Kaskaden über, die die natürliche Kraft von Wasserfällen zu haben schienen. Vor allem in Akkordprogressionen setzte er sein Handgelenk relativ hoch an, was eine starke Angleichung der Finger, der Hand und des Vorderarms bewirkte; dies wiederum erlaubte die totale Kontrolle über die ausgewogene Ausformung seiner durchgängigen melodischen Stränge. Als Bashmet endlich eintraf, unterhielten sich die beiden Musiker in ihrer Muttersprache – Russisch – und Kissin gab Bashmet das “A” des Flügels zum Stimmen der Viola. Die beiden spielten das Werk ohne häufige Unterbrechungen zügig durch. Bashmet spielte zumeist sehr zart, und steigerte sich nur sehr vorsichtig zu Crescendos, mit Ausnahme der Höhepunkte. Gegen Ende des absolut wundervollen Appasionata, ma non troppo allegro konnte ein Zuhörer nicht länger an sich halten, sondern applaudierte, obwohl das Musikstück noch nicht ganz zu Ende war. Bashmet lächelte und wies darauf hin, dass es noch weiter ging, verbeugte sich aber trotzdem höflich und dankte dem enthusiastischen Zuhörer mit einer Prise seines Humors. Kissin ging weiter durch die verschiedenen Abschnitte des Stücks und nahm sich dann des anspruchsvollsten und schwierigsten Teil seiner Proben an – den Paganini-Variationen. Mit denen würde er, zusammen mit Martha Argerich, den Konzertabend beschliessen.

Kissin bei den Proben Foto: Ilona Oltuski Nach der Probe für das Brahms-Stück betrat Martha Argerich den Saal, ganz die statueske Diva des Festivals und Legende der klassischen Musikwelt.


Kissin eröffnete den musikalischen Dialog mit Vehemenz, während Argerich die feinsten Klangbilder erkundete, und so eine völlig andere Klanglandschaft kreierte. Das Ergebnis dieser Zwiesprache mit ihren atemberaubend schnellen Variationen hätte sich, unter anderer Regie, möglicherweise schnell in Freiübungen aufgelöst. Ganz entspannt diskutierten die beiden Pianisten das Timing bestimmter Eckpunkte ihrer Darbietung, und arbeiteten das Stück auf diese Weise durch. Irgendwann fragte Argerich, an die kleine Zuhörerschaft gerichtet, die sich inzwischen im Raum eingefunden hatte: “C’etait bien?”,  worauf die Gäste mit einem empathischen “Oui, merveilleux” antworteten. Dann besprach sie sich mit Kissin, und sie gingen das Stück noch einmal durch. “Are we safe?” fragte sie ihn dann, und er antwortete mit einem Lächeln: “Yes, we are safe”. Sie tauschten eine weitere Umarmung und kleine Wangenküsse aus, und man ging zum Luftschnappen nach draussen.

Argerich setzte sich auf eine der Bänke vor der Halle, und während sie sich eine Zigarette anzündete, begannen wir unser Gespräch. Ihre Offenheit spiegelte die allgemeine Atmosphäre zwischen den Künstlern des Festivals wieder, und diese trug nicht unerheblich zum Erfolg des Festivals bei. Das freundschaftliche und verbindliche Ambiente war nicht zuletzt auch Argerichs Verdienst; es erlaubte allen Beteiligten eine gewisse Unbeschwertheit und liess sie – trotz der Vorbereitungen für das ambitionierte Konzertprogramm – die Zeit in Verbier fast wie einen Kuraufenthalt geniessen.

Da sass sie nun, die berühmte Martha Argerich: auf Französisch, Englisch und Deutsch grüsste sie  alle vorbeigehenden Musiker mit einer Energie und Lebhaftigkeit, die an die Lebenslust eines Teenagers erinnerte.


Es bestand kein Zweifel, dass sie von Kissin sehr beeindruckt war. “Wissen Sie”, sprach sie mich an, “das erste Mal hatte mir Daniel Barenboim von Zhenya erzählt. Dann hab’ ich Aufzeichnungen seiner Chopin-Konzerte gehört: unglaublich! Ich glaube, er war erst 12 zu der Zeit.  Und dann traf ich ihn in den späten 80iger Jahren hinter der Bühne eines seiner Konzerte in Moskau; ich war da, um mit Gidon Kremer aufzutreten. Er bat mich um ein Autogramm”, lächelte sie. “ Ich liebe Zhenya – er ist einmalig … und ich spreche nicht nur von seinen musikalischen Fähigkeiten, die wirklich eine Klasse für sich sind, sondern ich meine auch ihn als Person. Wir haben zum ersten Mal hier in Verbier zusammen gespielt; ich glaube, das war 1997. Er ist wirklich so aussergewöhnlich. Er bat mich, seinen 40igsten Geburtstag mit ihm zu feiern; er wird an diesem Tag in Japan auf Tournee sein.



Und dann stand Martha Argerich auf, und fragte mich nach meinem Sternzeichen; als ich ihre Frage beantwortete (ich bin Stier), liess sie mich nicht wissen, warum sie nachgefragt hatte, sondern lächelte nur vielsagend. Sie ging mir zurück in die Konzerthalle voraus, und die nächste Runde von Kissins Proben zum Brahms-Quartett für Klavier Op. 25, No.1 stand auf dem Programm.

Der Geiger Vadim Repin und der ewig-coole Cellist Mischa Maisky gesellten sich zu Kissin, und dem Violisten Bashmet. Somit war die ‘russische All-Star Band’ komplett.

Als ich später mit dem in Moskau und Wien ansässigen Geiger Vadim Repin sprach, drückte der sein Bedauern darüber aus,  dass das Schicksal sie alle nicht häufiger zusammen bringe. Aber, meinte er, wenn es denn passiere, sei es immer ein glücklicher Augenblick.



Kissin und Repin kennen sich ursprünglich von einem Konzert in Moskau, bei dem sie beide – ganze 13 Jahre alt – aufgetreten waren.  Ihre Freundschaft war über die Jahre gewachsen, und sie blicken auf viele schöne Momente zurück, z.B. auf gemeinsame Schachspiele bei Konzertreisen.

”Ich halte ihn, als Menschen und als Musiker, für einen der kompromisslosesten und stärksten Persönlichkeiten,” sagt Repin über  Kissin.”Ich würde ihm mein Leben anvertrauen, und das gilt natürlich auch für die Bühne. Er verkörpert die perfekte Balance zwischen Empfindsamkeit und fähiger Führung. Und nicht nur ich verehre ihn; meine ganze Familie bewundert seine Persönlichkeit.”






Cellist Mischa Maisky erinnerte sich an sein erstes Konzert mit Kissin – ein äusserst anspruchsvolles Konzert, das einen bleibenden Eindruck bei ihm hinterlassen hatte. Das Konzert fand 2001 in Verbier statt. Vor zwei Jahren dann, wieder in Verbier, spielten Maisky und Kissin dort ein Trio mit Joshua Bell. Maisky beschrieb, dass ihm die perfekte Balance sämtlicher Faktoren, die zusammen kommen müssen, um wirklich grossartige Musik zu machen, das ist, was ihn an seinen Auftritten mit Kissin am besten gefällt. “Er hat natürlich eine enorme technische Fertigkeit, ist einfühlsam und hat ein grosses Herz, aber er ist auch sehr intelligent. Und er ist ein Perfektionist mit sehr hohen Qualitätsmassstäben, und weiss, was er will. Seine Hingabe ist jedoch das wirklich Inspirierende; er legt die Latte jedesmal sehr hoch an, und es ist eine grossartige Sache, sich dieser Herausforderung zu stellen.

Mit Mischa Maisky



Die Überzeugung, dass Musiker, die in der Öffentlichkeit stehen, auch die moralische Verpflichtung haben, ihre Stimme gegen Unrecht zu erheben und für Dinge, an die sie glauben, aktiv zu werden, teilen beide Musiker gleichermassen. Meint Maisky: “Eine einzelne Stimme hört man vielleicht nicht so gut, gemeinsame Bemühungen haben jedoch einen kumulativen Effekt. Darum sollte man nicht passiv bleiben und denken, dass man sowie nichts ändern kann. Zumindest sollte man sich bemühen und an den Erfolg seines Tuns glauben. “

Erst im letzten Monat nahmen die beiden Künstler zusammen mit Martha Argerich and Gideon Kremer an einem Konzert in Strassburg teil, in dessen Rahmen sie anti-demokratische Praktiken in Russland anprangerten. Verbier bietet zweifelsohne immer wieder die einzigartige Gelegenheit, neue und alte Freundschaften, die weit über gemeinsames Musizieren hinausgehen, zu schliessen bzw. wiederzubeleben - nicht zuletzt auch auf den legendären Afterparties.

Afterparty





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