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Ein Treffen mit Gabriela Montero


Ich erinnere mich noch genau an einen meiner Besuche im Tower Records-Laden an Manhattans Upper West Side, den es jetzt nicht mehr gibt. Wӓhrend sich die Kunden durch die etwas chaotischen Berge von CDs arbeiteten, lief im Hintergrund Chopins “Fantaisie-Impromptu” ȕber die Lautsprecheranlage. Das war im Jahr 2005, und Gabriela Montero hatte gerade ihre erste CD auf EMI verӧffentlicht – eine Mischung aus beliebten Klassikern wie Chopin, Liszt, Rachmaninov und Scriabin, und – als Homage an ihre sȕdamerikanische Heimat – de Falla und Ginestra. Ich war sofort begeistert.Welch schӧne Erinnerung! Wie sehr ich es vermisse, durch CD-Hȕllen zu stӧbern, die Portraits der verschiedensten Kȕnstler zu erkennen und dabei der Musikauswahl des Verkaufteams zuzuhӧren! Heute gibt es fast keine Musiklӓden mehr in Manhattan, in denen man kramen kann und nach Neuerscheinungen oder Sondereditionen suchen – ein Vergnȕgen, das einfach nicht zu ersetzen ist ...

Und so lauschte ich Gabriela Montero zum ersten Mal bei Tower Records. Ich hatte nie zuvor von ihr gehӧrt – sozusagen eine Neuentdeckung, zumindest fȕr mich.

Natȕrlich liebe ich Chopin (wer tut das nicht?), und obwohl die “Fantaisie Impromptu” derart bekannt ist, dass die jȕngere Generation von Musikern fast schon Abstand von dem Werk nimmt, gab Monteros Interpretation dem Stȕck eine neue Tiefe. Es schien, als ob es vӧllig ȕberarbeitet worden war – eine erfrischende Interpretation, die durch ihre Exaktheit, Brillianz und perfekt harmonische Form beeindruckte, Die Beilage zu Monteros CD klassischer Stȕcke war jedoch die eigentliche Ȕberraschung – Gabriela Monteros aussergewӧhnliche Improvisationen klassischer Werke.

Als sie 2006 ihre nӓchste CD, “Bach and Beyond”, verӧffentlichte – ein Album, das sich ausschliesslich aus Improvisationen zusammensetzte – war mir klar, dass es sich hier um eine selten talentierte Pianistin handelte, die frȕher oder spӓter Aufmerksamkeit erregen wȕrde, und dies in grossem Rahmen.

Genau so kam es denn auch. Heute, lediglich vier Jahre spӓter, ist die attraktive junge Frau ein Piano-Superstar und nahm an President Obamas Inauguration-Feierlichkeiten teil.

Gabriela Montero wurde in Caracas in Venezuela geboren und hatte ihren ersten ӧffentlichen Auftritt mit fȕnf Jahren. Ihr Konzertdebut mit dem Jugendorchester von Venezuela unter der Leitung von Jose Antonio Abreu fand bereits drei Jahre spӓter statt. Letzterer Auftritt fȕhrte zu einem Stipendium in den Vereinigten Staaten.


Nach zehn Jahren Unterricht in Miami war Gabriela Montero jedoch jegliche Motivation abhanden gekommen.. “Ich sah keinen guten Grund mehr, Musikerin zu sein”, sagte sie mir, als ich sie kurz vor ihrer Prӓsentation als Moderatorin einer Wohltӓtigkeitsveranstaltung fȕr die Boston Philhamoniker an der Bar des Charles Hotels in Boston traf. “Ich wusste sehr wohl, warum alle wollten, dass ich Musikerin blieb, aber ich habe schon immer damit gekӓmpft, einen Platz fȕr Musik in meinem Leben zu finden. In vielen Phasen meines Lebens habe ich diese Gefȕhle unterdrȕckt. Schon zweimal habe ich ganz aufgehӧrt, aber dann kam die Musik immer wieder zurȕck, und stӓrker als zuvor.”

Fȕr kurze Zeit kehrte Montero nach Caracas zurȕck, um nach dem Sinn des “wirklichen Lebens jenseits des Klaviers” zu suchen, und arbeitete unentgeltlich in Krankenhӓusern. Aber die Musik in ihrem Kopf (das 24-Stunden-Radioprogramm, wie sie es nennt) erlaubte ihr nicht, ihrem Instrument zu entkommen.Sie bewarb sich fȕr ein Stipendium an der London Academy of Music und bekam es auch. Hamish Milne, ihr Londoner Lehrer, half ihr, die Liebe zum Klavier neu zu entfachen, und im Jahre 1995 gewann sie im Alter von 25 Jahren mit einem Auftritt, der ihre rare physische und emotionale Verbindung zu ihrem Instrument und zur Musik ganz allgemein bewies, die Bronze-Medaille des Chopin-Wettbewerbs in Warschau.



Aber dann fȕhrte sie ihr Leben nach Montreal, wo sie ihre erste Tochter grosszog, und wo sie wieder einmal ein Leben jenseits der Musik plante – dieses Mal eine berufliche Laufbahn als Psychologin. Es sollte weitere sechs Jahre dauern, bis die Begegnung mit Martha Argerich – vielleicht die weltweit einflussreichste weibliche Pianistin schlechthin – schliesslich Gabrielas Genie freisetzte.

“Es war ihre positive Verstӓrkung”, erklӓrt Gabriela. “Ich hatte sie vorher schon einmal getroffen, aber nie persӧnlich mit ihr gesprochen. Sie trat mit Maestro Dutoit in Montreal auf und ich kontaktierte sie. Sie wollte mich sehr gern auf eine Tasse Kaffee treffen, und lud mich ein, nach einer ihrer Proben fȕr sie zu spielen. Es wurde ziemlich spӓt, und ich hatte bereits ein Bier oder auch zwei getrunken, wӓhrend ich auf sie wartete, als mich ihr Manager um etwa 1.30 Uhr morgens zu ihr herein rief. Nach etwas Beethoven und Schumann fing ich an zu improvisieren.” Es war hier, im Place des Arts in Montreal, dass diese ganz persӧnliche Begegnung zweier Pianistinnen und Frauen Gabrielas Karriere grundlegend neu definierte.

“Mir wurde klar, welch wichtige Rolle meine Improvisationen schon immer fȕr meine gesamte Identitӓt als Kȕnstlerin und meine Verbindung zur Musik gespielt hatten. Martha half mir dabei, dies endlich zu sehen, und ihre Unterstȕtzung bedeutete mir alles.”Gabriela sagt, dass fȕr ihre Musiklehrerin in Miami die Welt ausschliesslich aus Wettbewerben bestanden hatte, und dass Gewinnen alles fȕr sie gewesen war. “Es hatte nichts mit Inspiration zu tun. Sie erlaubte mir lediglich, Aufnahmen von Arrau zu hӧren, und obwohl sie mir technisch gesehen nicht schadete, hat sie mich doch vom Improvisieren abgehalten; sie wollte einfach nichts davon hӧren.”



Die Tradition der Improvisation wird in der Musikliteratur ausfȕhrlich beschrieben, und viele Komponisten waren gleichzeitig auch Meister dieser Kunst. Im 20. Jahrhundert verschwand sie jedoch aus der klassischen Musik, und beschrӓnkte sich fast ausschliesslich auf die Welt des Jazz.

Dank der entschiedenen Unterstȕtzung durch Martha Argerich, die Gabriela auch weiter empfahl und sie alljӓhrlich zu ihrem “Progetto Martha Argerich” nach Lugano einlud, wurde das Improvisieren fȕr Gabriela zu einer ganz persӧnlichen Form der Verbindung zwischen Klavier und Publikum. “Ungefӓhr 95% meiner Improvisationen sind im klassischen Stil,” sagt sie. “Es passiert einfach. Ich lege meine Hӓnde aufs Klavier und es ist fast wie eine Erfahrung, die ausserhalb meines Kӧrpers stattfindet. Ich bin nicht mehr Teil des Prozesses, und dann auch wieder ganz und gar Teil davon. Ich sehe einfach zu, wie alles wӓchst und erlaube freie Entfaltung, ohne den Prozess einzuschrӓnken oder zu dirigieren. Es ist alles eine Sache des jeweiligen Momentes, und eine sehr befreiende Erfahrung – die musikalische Freiheit der Entfaltung, ohne ihr im Weg stehen zu wollen, und ohne sie aufzuhalten.”


Gabriela fȕgt hinzu, sie verstehe nicht, dass manche Leute Improvisation lehren. “Bei mir geht es immer um Intuition. Es wӓre grossartig fȕr mich, wenn ich jemandem beim Improvisieren klassischer Musik zusehen kӧnnte,” sagt sie. “Bis in meinen 30igern dachte ich immer, dass jeder Pianist zu Hause privat improvisiert. Es war ganz natȕrlich fȕr mich, und mir war nicht bewusst, dass es etwas derart Besonderes war. Meine Familie und meine Freunde wussten immer darȕber Bescheid.”

Verbindung zu anderen Menschen ist sehr persӧnlich. Als ich sie traf, sprach sie auch ȕber die “ȕblichen Herausforderungen im Leben einer Mutter (ich bin ebenfalls Mutter). Sie war gerade von einem Klavierkonzert ihrer jȕngeren Tochter gekommen und erwӓhnte den Druck, ihren Tӧchtern auch wirklich genug Zeit zu widmen. Als alleinerziehende Mutter und Musikerin, die das ganze Jahr ȕber sehr oft auftritt, weiss Gabriela die Unterstȕtzung ihrer eigenen Mutter, die immer fȕr sie da ist, wenn sie auf Tournee ist, sehr zu schӓtzen.



Neben ihrer Arbeit spielt auch ihre Heimat Venezuela, die sie jedes Jahr besucht, eine grosse Rolle in ihrem Leben. Gabrielas neue Heimat ist zwar Boston, aber sie vermisst die Lebensfreude, die sie in Venezuela trotz aller politischen und sozialen Probleme erlebt.

Sie interessiert sich auch fȕr ganzheitliche Ansӓtze, die Kӧrper und Geist gesund halten.

In Sachen Klaviertechnik ӓussert sie sich positiv ȕber die Taubman-Methode, die sie “… jedem, der zu einem gesunden und organischen Ansatz des Klavierspielens kommen mӧchte” empfiehlt.


Deutschland erwӓhnt sie als das Land, das ihr von Anfang an als Kȕnstlerin mit Akzeptanz entgegen kam. “Deutschland war wundervoll – Improvisation nahm bei meinen Konzerten einen wichtigen Platz ein, und das deutsche Publikum verstand mein Improvisieren, fragte danach, und gab mir Applaus. Improvisation war mehr als eine Kuriosität fur dieses Publikum – sie konnten nicht genug davon hӧren.”


So ȕberrascht es denn auch nicht, Gabrielas Publikum – und das gilt nicht nur fȕr Deutschland - immer wieder voller Bewunderung fȕr ihr scheinbar grenzenloses Talent und ihre Virtuositӓt zu erleben.

Ihre “Baroque Improvisations”- CD kam im Juni 2007 bei Londons Abbey Road Studios heraus, und stellt die einmalige Mischung aus klassischem Repertoire und Improvisation vor, die zu Monteros Markenzeichen geworden ist. Im Februar 2008 erschien unter dem Titel “Baroque” die Folge – CD bei EMI. Es gab sehr viel Beifall fȕr diese CD, unter anderem auch vom BBC Music Magazine und von Classic FM. Gabrielas “Bach and Beyond”- CD erhielt den “Choc de la musique de l’annee”-Preis 2006 des franzӧsischen Magazins “Le Monde de la Musique”. Im selben Jahr gewann Gabriela auch den “Keyboard Instrumentalist of the Year”- Preis bei der ECHO – Verleihung in Mȕnchen, und ein Jahr darauf erhiehlt sie den ECHO “Klassik ohne Grenzen”-Preis fȕr “Bach and Beyond”. Ihre letzte CD, “Baroque”, wurde 2009 fȕr die Grammys nominiert, und zwar gleich in zwei Kategorien, “Best Crossover” und “Best Producer”. Gabriela Montero wurde auch in der Sendung “60 Minutes” des amerikanischen Fernsehsenders CBS vorgestellt.



Eine Duo-Partnerschaft verbindet sie mit dem franzӧsischen Cellisten Gautier Capucon. Im Jahre 2009 traten die beiden zusammen in Europa auf, und auch fȕr das Jahr 2010 sind viele Engagements geplant.


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