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Pianistin Yael Weiss – Die kreative Verbindung zwischen der geschriebenen Partitur und dem Zuhörer


Yael Weiss besitzt ein seltenes Engagement, das sie dazu zwingt, in ihrem täglichem Leben ihre Verantwortung als Auftrittskünstlerin zu erkennen. “Selbst wenn ich allein bin, ist es mir äußerst wichtig, dass ich immer mein Bestes versuche, präzise zu sein, wenn es darum geht, die Intentionen des Komponisten aufzudecken und die Bedeutung zu finden, die sich hinter den Noten verbirgt,” sagt sie. “Es gibt ein Nachsinnen über Musik, das während des Übens stattfindet und natürlich auf der Bühne, eine nie endende Suche nach der Wahrheit in der Musik – dem Grund, warum ein spezifisches Stück so konzipiert wurde, wie es ist.”


Bei Musik gibt es, anders wie bei den anderen Künsten, eine Wechselwirkung der geschriebenen Partitur in Echtzeit – zwischen dem Künstler und den Zuhörern. “Es ist die Erkenntnis durch den Auftritt in diesem Moment, die den Auftrittskünstler zu einem so integralem Bestandteil der Gleichung macht  – und der Zuhörer ist der andere Teil,” staunt Weiss. “Eine Partitur, die in der Bibliothek steckt, ist noch keine Musik; diese schwarzen Spots auf Papier sind noch nicht ausgeführt. Es handelt sich nur um Verweise auf die verschiedenen Ebenen, welche die Ideen eines gewissen Klangs angeben und darüberhinaus auf eine bestimmte Botschaft, die es erfordert, dem Zuhörer übermittelt zu werden. So ist es diese Übermittlung dieser tatsächlichen Noten in einen Klang und die Interpretation der Bedeutung, die sich hinter diesen Noten verbirgt, die ich jeden Tag betreibe, wenn ich mich am Klavier befinde.”


Wie im wirklichen Leben, sollte es bei einer musikalischen Erfahrung um ein Geben und Nehmen gehen. Weiss zögert nicht, etwas der Verantwortung für den Erfolg eines Auftritts auf den Zuhörer abzutreten, angesichts der passiven Rolle, die normalerweise das Publikum im Allgemeinen gewohnt ist ein Ansatz, der nicht als selbstverständlich betrachtet werden sollte. Weiss jedoch sieht die Interaktion zwischen dem Auftrittskünstler und dem Zuhörer als einen wahren Dialog an: “Ich glaube, dass Ihnen jeder Auftrittskünstler erzählen wird, dass sein Musizieren davon profitiert, sich auf der Bühne seinem Publikum zu stellen und damit wächst. Der Grad der Konzentration, Offenheit und Aufmerksamkeit auf der Seite des Zuhörers beeinflusst das Endergebnis ungemein. Die Übermittlung der geschriebenen Partitur ist eine geteilte Erfahrung, eine Vergegenwärtigung mit gemeinsamer Absicht.”




Wenn sie unterrichtet, stellt Weiss fest, dass sich die Studenten oft über deren eigene Nervösität auf der Bühne Sorgen machen und sich der Kritik und dem persönlichen Urteil ausgesetzt sehen. Sie versucht, sie daran zu erinnern, dass sie sich auf die positive Energie konzentrieren sollten und darauf, mit dem Publikum durch die Musik zu kommunizieren, statt sich darüber Sorgen zu machen, was das Publikum von ihnen denkt. Die Bühne kann ein einsamer Ort sein, wenn es der Auftrittskünstler zulässt, dass Isolation das ergreifende Gefühl verdrängt, mit seinem oder ihrem Publikum in Verbindung zu treten, das von der gemeinsamen Erfahrung gespeist wird, welches der musikalische Auftritt nun mal ist.

In einem Versuch ein engagierteres und bewussteres Publikum zu schaffen, hat Weiss damit begonnen, eine Reihe von Podcasts auf iTunes zu laden, die sich Classical Minutes nennen und viele unterschiedliche informative, musikalische Agendas bereitstellen und eine große Bandbreite von Musikliebhabern, Berufsmusikern und Studenten ansprechen. Die Themen beziehen sich nicht spezifisch auf bestimmte Instrumente, vielmehr ist ihr Hauptgrund, Musiker auf verschiedenen Ebenen zu begeistern und zu motivieren und eine persönliche Perspektive des Lebens eines Auftrittkünstlers zu geben: Die täglichen Kämpfe, die Fragen hinsichtlich des täglichen Übens, Gedanken von vor, während und nach dem Auftritt  und andere alltägliche Details aus der Welt des Auftrittkünstlers.





Weiss sagt, dass, ”wegen der zurückgezogenen Natur eines großen Teils des Lebens eines Auftrittkünstlers, die Podcasts auf täglicher Basis, kleine Extras und Tipps bereitstellen, um nach vorne schauen zu können, wenn man allein ist und feststeckt.” Sie meint, “als ich begann, darüber nachzudenken, diese Podcasts zu machen – wen sie ansprechen sollten und wen ich erreichen wollte – ertappte ich mich dabei, an einige meiner ehemaligen Studenten zu denken, die sehr empfänglich waren. Manchmal stelle ich mir in meinen Gedanken vor, sie anzusprechen und manchmal denke ich auch an Gespräche mit meinen Lehrern Richard Goode oder Leon Fleisher. Manchmal liefere ich Kommentare zu spezifischen Fragen, die von Leuten kommen, die E-mail zu den Podcasts versenden.”

Einige von Weiss’ täglichen Podcast-Streams mit den Titeln  “CM61: Giving and Receiving”, “CM16: Truth or Beauty”, CM57: Do You Have a “Rainy Day List”?” und “CM14: Are you feeling stuck? “, erhielten sehr viel Aufmerksamkeit, nachdem sie gesendet wurden.



“Oft bereitet man sich auf ein großes Projekt vor und wird davon völlig in Anspruch genommen; es ist leicht, die Perspektive zu verlieren. Am Ende fühlen sich viele Leute überwältigt. Also was macht man, wenn man sich nicht in Bezug auf sein physisches Wohlbefinden und seine durch Interpretaion generierten Einsichten verbessert? Hier ist eine der einfachsten Techniken, eine die völlig unterbewertet ist: man nehme sich zwei Tage von dem spezifischen Stück frei und übe mit einer Veränderung: Zum Beispiel wenn man eine Sonate des späten Beethoven übt, nehme man ein anderes Werk des Komponisten aus der gleichen Zeit, eines das unterschätzt wird und an dem man noch nicht vorher gearbeitet hat, eine andere Sonate, Kammermusikarbeit, eine Symphonie. Ohne eine Eingrenzung von irgendetwas zu empfinden, die einem über die Musik erzählt worden ist … aber vor allem ohne Regeln einzubauen, die man vorher für sich selbst aufgestellt hat, übe man dieses Werk ‘eben ohne Einschränkungen’. Wendet man sich wieder dem Hauptstück zu, hat man die ursprüngliche Begeisterung neuer Entdeckung, etwas, was ein Auftrittskünstler immer mit auf die Bühne bringen muss.”


Man kann die Podcasts bei iTunes oder direkt über diesen Link abonnieren oder abrufen: The Classical Minutes Daily Podcasts on iTunes. Classical Minutes haben ebenfalls ihre eigene neue Webseite: classicalminutes.com. Weiss ist eine lebhafte Pädagogin, die Meisterklassen für verschiedene führende internationale Institutionen präsentiert hat. Sie war Fakultätsmitglied an der Indiana University und der ‘University of California‘ in Santa Barbara.


Als eine ernsthafte und konzentrierte Auftrittskünstlerin, die kürzlich auch einmal in meinem Wohnzimmer einen Durchlauf vor Antritt ihre Konzertreise gespielt hat, erfreut sich Weiss großer Nachfrage als Auftrittskünstlerin und Mentorin.


Weiss’ jüngste Projekte umfassen die Veröffentlichung von Robert Schumann: Piano Works, das selten aufgenommenes Material mit großer Einsicht, exzellenter Technik und sensibler Wiedergabe auf dem Koch Label vorstellt. Im Moment plant Weiss sich weiterhin eingehend mit Schumann zu befassen – einem Komponisten, der ihr sehr am Herzen liegt. Sie ist von Schumanns obskureren Seite fasziniert, die in einigen seiner schwierigeren Stücken zum Vorschein kommt– Werken, die oft von Künstlern gemieden wurden, wenn es darum ging, diese zu lernen oder sie auf das Programm zu setzen – was selbst für solche Verfechter von Schumanns Musik wie Clara Schumann oder Brahms gilt. Von den Geister-Variationen, zum Beispiel, hat Clara nur das Thema, nicht aber die Variationen veröffentlicht. Schumann komponierte dieses Werk in seinen späteren Jahren, nachdem er sich bereits im Anfangsstadium einer Geisteskrankheit befand, wie Weiss erläutert. Ihr ist nur eine alte LP Aufnahme der Geister-Variationen von dem österreichischem Pianisten Joerg Demus

Ausserdem konzentriert sich Weiss auch auf ein Projekt, das die 32 Beethoven Sonaten Seite an Seite neben zeitgenössische, von Beethoven inspirierte Stücke stellt.

Sie sagt, dass sie ihre Aufgabenstellung mit diesem Auftritt darin sieht, “Beethoven in unsere Zeit zu bringen, einen Kontext für Beethoven zu schaffen und zu zeigen, warum er heute ebenso relevant und entscheidend ist, wie vor 200 Jahren.” Zu diesem Thema meint Weiss: Während es viele wundervolle Musiker gibt, die sich auf neue Musik spezialisieren, mag ich es, meine derzeitigen Partituren mit historischen zu kombinieren. Die neueren Werke, die ich spiele, sind gewöhnlich von Komponisten, mit denen ich das Privileg hatte, direkt zusammenzuarbeiten. Ich empfinde die Beziehung zwischen dem Auftrittskünstler und dem zeitgenössischen Komponisten als solch eine interessante Kooperation, eine Zusammenarbeit, die natürlich mit den alten Meisterkomponisten nicht möglich ist. Mit dem Komponisten auf die Partitur zu schauen, stellt solch ein faszinierendes Erlebnis dar, was auf der Bühne mehr Flexibilität mit den Noten gewährleistet.”



Weiss hat große Freude daran, mit Komponisten zusammenzuarbeiten. Sie hatte wunderbare Erfahrungen u.a. mit den Komponisten Lera Auerbach und Paul Schonefeld. Weiss erinnert sich an einen Zwischenfall, wo etwas auf Leras Notenschrift nicht spielbar war und sie stattdessen einen anderen Akkord improvisierte – mit einem ähnlichen Effekt. Lera stimmte zu, dass dies eine gute Idee sei und gab ihr die Anweisung, mit der vorgeschlagenen Lösung weiterzumachen. “Es gibt viel Hin und Her” erläutert Weiss, als sie sich daran erinnert, wie sie ein Klavierkonzert probte, das für sie von Joel Feigin geschrieben worden war. “Am Tage seiner Weltpremiere besuchte der Komponist die Orchesterprobe und etwas war nicht richtig mit der Intonation der Klavier-Triller“. Ich schlug vor, einige der Akkorde neu zu gestalten und als ich es demonstrierte, machte er sich auf einem unbeschriebenen Blatt Papier Notizen und sagte: Ok, so werden wir es heute abend beim Konzert spielen.’ Durch solche Augenblicke lernt man verstehen, was der Einfluss des Auftretenden auf die Musik ist, wie flexibel der Komponist sein kann, wenn er versucht, es am besten klingen zu lassen. Es ist wichtig, das im Kopf zu behalten, wenn man historischen Komponisten zuhört, die in ihrem Leben die selben Kämpfe durchstanden haben. Eine Partitur ist ein lebendiger Organismus. Sie ist nicht in Stein gemeißelt.”


Mit einem genauen Verständnis dieser Botschaft und einer durchdringenden Sensibilität ausgestattet, lassen Weiss’ kraftvollen Klavierauftritte ihre Zuhörer zu Komplizen werden. Wie Weiss sagt, nichts ist in Stein gemeißelt. Vielleicht ist es die Erkenntnis dieser Flexibilität und Ungewissheit, die uns der Wahrheit näher bringt, die Schumann mit uns teilen wollte, selbst in seinen am meisten gepeinigten Werken.

Die Webseite der Künstlerin ist: www.yaelweiss.com Bitte schauen Sie hier nach den bevorstehenden geplanten Auftritten.

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